Race Report Roth 2014

geschrieben von Lars Lensdorf am 20.07.2014


Nach knapp 2 Tagen bin ich physisch & psychisch wieder halbwegs geerdet. Ein idealer Moment, um die vielen, vielen Eindrücke vom letzten Sonntag zusammenzufassen, solange sie noch frisch sind. Soviel vorab: mein ursprünglich gestecktes Minimalziel habe ich um ca. eine 1/4h verfehlt. Aber das zählte beim Zieleinlauf am Sonntag um ca. 17:13 nicht mehr. Im Vordergrund stand die Freude, „es“ trotz der heftigen Bedingungen mehr als ordentlich geschafft zu haben. Aber der Reihe nach:

Die Ausgangslage

Die letzte Langdistanz lag im letzten Jahr zwei Jahre zurück, als Stephan & ich beschlossen, uns mal wieder für eine 226 km lange Dreikampfreise anzumelden. Zur Auswahl standen Nizza, Lanzarote und – die Mutter aller europäischen Langdistanzen – Roth. Die Entscheidung fiel dann recht schnell für Roth. Hier hatten wir zuletzt 2009 einen tollen Wettkampf erlebt und auch familientechnisch ließ sich eine Reise ins fränkische Triathlon-Mekka am besten organisieren. Dazu war es für mich nach 2000 und 2009 in Roth das dritte Mal; und aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Ich für meinen Teil fasste zudem den Entschluss, besonders organisiert und konsequent zu trainieren – auch mal neue Trainingswege einzuschlagen – um zu sehen, ob ich in meiner Altersklasse auf der Langdistanz vorne mitmischen kann. Wenn ja, würde ich mir überlegen, im nächsten Jahr den Großangriff auf eines der begehrten Hawaii-Quali-Tickets zu starten. Aller Voraussicht nach bedeutete dies eine Endzeit um 9:45h; oder anders ausgedrückt: „einfach“ mein Ergebnis von 2009 (9:44h) noch einmal wiederholen … Stephan war da etwas genügsamer; seine Devise war schlicht „sub 10“.
Mit dieser Ausgangslage hatten Stephan & ich seit Januar sehr konsequent – der Bundes-Jogi würde sagen „fokussiert und konzentriert“ – trainiert. Etliche Schwimm-, Rad- und Laufkilometer hatten wir gemeinsam runtergespult; nicht immer war das purer Spaß. Aber zu zweit fiel doch vieles leichter. Eigentlich war alles ideal gelaufen; auch von ernsthafteren Verletzungen waren wir verschont geblieben – die Zipperlein, die man in der AK 45 nun mal hat, zählen nicht. Bis ich dann bei unserer letzten langen Radausfahrt 2 Wochen vor Roth den „Triathlon-Reus“ machte: 2 km vor der Haustür war es passiert; im regennassen Kreisel mit dem Rad weggeschmiert. Neben ein paar Abschürfungen, die nicht so wild waren, hatte ich mir die Rippen ziemlich geprellt. Roth schien plötzlich in unendlich weite Ferne gerückt zu sein. An Sport war die ersten Tage nicht zu denken; schon gar nicht an die Belastung einer Langdistanz. Frust und Traurigkeit machten sich breit. Aber was man häufig kleinen Kindern erzählt, traf auch auf mich zu: alles wird gut! Doch nicht Reus, eher Khedira. Mit etwas Rippen-Aua, ansonsten aber der Gewissheit, alles nahezu perfekt gemacht zu haben, reisten Stephan & ich dann am Freitag in Roth an.
Nach dem üblichen Vorgeplänkel wie Besuch der Triathlonmesse, letzten Handgriffen am Material und der Henkersmahlzeit am Sonntagmorgen um 4:00 machten wir dann um kurz vor 7:00 den Schritt in den Main-Donau Kanal und bewegten uns Richtung Startlinie. Es war der erste große emotionale Moment an diesem Tag, aber bei weitem nicht der letzte. Ab jetzt war jeder von uns auf sich alleine gestellt.

Das Schwimmen

Pünktlich um 7:00 gab’s den Startschuss. Mit einem Mal Vollwaschgang. Zwar konnte ich mich relativ schnell aus dem größten Gekeile befreien. Gleichwohl kam ich irgendwie nicht in meinen gewohnten Schwimmrhythmus. Dazu machte mir mein Magen etwas zu schaffen. Die Leichtigkeit des Schwimm-Seins war ganz weit weg. Das war eher derbe Hausmannskost, was ich da schwimmtechnisch hinlegte. Auch der Versuch, mich an einen schnellen Vordermann zu hängen und den Wasserschatten auszunutzen war nicht vom Erfolg gekrönt. 2009 hatte das phantastisch geklappt. Damals war ich nur so durch den Kanal geglitten; 56:50 standen damals zu Buche. Damals …. Es war mir recht schnell klar, dass ich diese Zeit dieses Mal nicht erreichen würde. Sub 1h war mein Ziel; dafür hatte ich extra noch einmal in einen neuen Neo investiert. Getreu dem Motto „kleine Verbesserungen für viel Geld; dafür bin ich immer zu haben“. Irgendwann hatte das Drama dann ein Ende. Beim Schwimmausstieg rechnete ich mit einer Zeit knapp über 1 h. Dann der Blick auf die Uhr: 1:05!!! Katastrophe!!! Im ersten Moment dachte ich, meine Uhr sei kaputt. Aber recht schnell merkte ich, dass dem nicht so war. Na, der Tag geht ja gut los! Aber andererseits lag nach meiner Berechnung ja gerade mal gut 1/10 des Tages hinter mir. Also noch genügend Zeit, alles wieder gut zu machen. Mundabwischen, weiter! Auf meinem Weg durch die Wechselzone zum Rad war ich mir zu 100% sicher, dass Stephan bereits auf seinem Bock saß. Um die 1:02h hatte er sich als realistisches Ziel gesetzt. An meinem Radl angekommen dann die nächste Überraschung: Stephan’s Radl stand da noch. Hm, auch bei ihm schien es nicht optimal gelaufen zu sein. Wie sich später herausstellen sollte, war das noch höflich formuliert. Er hatte beim Schwimmen noch tiefer ins Klo gegriffen, als ich.

Das Radfahren

Das Schwimmunheil nahm beim Radfahren erst einmal eine konsequente Fortsetzung: ich hatte mir als Verpflegung extra 8 Gels in einer kleinen Flasche vorbereitet, um beim Radeln nicht ständig die Gels aufreißen/-beißen zu müssen und so ständig einer einzigen Klebesauerei ausgesetzt zu sein. Lange, lange hatte ich mir über die ideale Verpflegungsstrategie Gedanken gemacht. Doch mit einem Mal war alles Schall und Rauch. Warum? Ich hatte die Flasche vor lauter Wechselhektik schlicht vergessen, mir ins Trikot zu stopfen und schön in der Wechselzone stehen lassen. Super! Die einzige Konstante bis zu diesem Zeitpunkt war, das nix so richtig lief. Andererseits war das auch kein wirkliches Drama, da man Gels alle 17 km auf der Radstrecke gereicht bekam. Also kein wirklicher Grund, in Panik auszubrechen. Jetzt galt es erst einmal Fahrt mit dem Hobel aufzunehmen. Radkilometer hatte ich ja genügend in den Beinen. Zwar überholte ich auf den ersten 40 – 50 km auch zahlreiche Athleten und wurde selber fast gar nicht überholt. Allerdings so richtig fluffig lief das nicht. Zudem machte sich – obwohl noch recht früh am Morgen – drückende Hitze breit. Für mich als wenig mediterranen Typ auch nicht so wirklich der Hit. Aber die anderen hatten ja mit den gleichen Bedingungen zu kämpfen. Ab ca. Kilometer 60 kam der Diesel dann langsam aber sicher ins Laufen. Bei Kilometer 70 dann das erste richtige Stimmungshighlight des heutigen Tages: Solarer Berg! Wer das nicht selber erlebt hat, glaubt es nicht. An einem relativ kurzen Anstieg stehen 20.000 Leute und brüllen einen eine 8% Steigung hoch. Man kann gar nicht anders, als da hochzufliegen; auch auf die Gefahr hin, dass man am Ende der Steigung, wenn die Zuschauer weniger werden, ganz schön Puls hat. Zudem standen am Solarer Berg einige Supporter von unserem Verein. Auch das machte das Leben leichter. Das Radgefühl wurde nun immer besser, Geschwindigkeit und Puls stimmten. Zudem hatte ich die Gewissheit bei Kilometer 120 – am Kalvarienberg in Greding – die Familie am Straßenrand zu sehen. Das sorgte für zusätzliche Motivation. Inzwischen war es schön mollig warm geworden. Keine Ahnung, wie warm; aber gefühlt war es sehr warm. Überraschenderweise kam ich mit den Temperaturen aber ganz gut zurecht. Ich konnte – im Gegensatz zu meinen Mitstreitern – mein Tempo halten, was dazu führte, dass ich mich allmählich von der Gruppe, mit der ich über viele Kilometer gefahren war, nach vorne absetzen konnte. Alles gut, geht doch! Ein zweites Mal den Solarer Berg hoch, noch ein paar Kilometer und schwupp die wupp tauchte auch schon die Wechselzone 2 vor mir auf. Radabgabe und die große Frage, wie sich die ersten Laufschritte nach gut 5 h Radfahren anfühlen. Gut fühlte es sich an; ich schien auf dem Rad alles richtig gemacht zu haben. Beste Voraussetzungen für die 42,1 km Auslaufen.

Das Laufen

Bevor es auf die Laufstrecke ging, gönnte ich mir noch Zeit für einen kleinen Abstecher auf’s Dixie. Keine Ahnung, wieso ich bei diesen Temperaturen noch Pullern musste. Ich hatte auf dem Rad offensichtlich ausreichend getrunken; nicht ganz verkehrt bei den Temperaturen, die inzwischen herrschten (inzwischen war es weit über 30 Grad und sehr drückend/schwül). Um ca. 13:17 Uhr begab ich mich dann auf die Laufstrecke. Lange Läufe hatten Stephan und ich noch und nöcher gemacht. Und alle waren eigentlich sehr ordentlich verlaufen. Ein 5er Schnitt war mein Ziel und sollte eigentlich machbar sein – eigentlich … Der erste Kilometer war mal wieder viel zu schnell (4:24, wobei es dort auch leicht bergab ging). Im Gegensatz zu meinem Suizid vor 3 Jahren in Nizza, als ich das schnelle Anfangstempo nicht rechtzeitig korrigierte, ließ ich nun die Vernunft walten und pendelte mich recht schnell bei einem Schnitt knapp unter 5 min/km ein. Bei Kilometer 4 stand dann erneut die Family; weitere Motivation – es lief! Sollte ich das durchlaufen können, wäre die sub 10 drin, was bei den inzwischen sehr heftigen Bedingungen sensationell gewesen wäre. Aber noch hatte die Party nicht richtig begonnen. Das war alles noch Vorgeplänkel. Es war klar, dass es ab ca. km 15 erst richtig spannend werden würde. Zwischen meinen Kilometern 5 und 9 kamen mir dann einige der Topathleten entgegen (u. a die Top 5 der Frauen), die sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zur Halbmarathonmarke wähnten. Und sie sahen ALLE richtig schei… aus! Oha, sollte mich ein ähnliches Schicksal ereilen? Yep, so sollte es kommen! Bis ca. km 15 lief es noch recht akzeptabel mit einem Schnitt von 5:05 – 5:10/km, doch so langsam wurde es zäh. Bei Kilometer 20 stand wieder die Family. Ich nahm mir fest vor, bis zu diesem Punkt durchzulaufen und keine Gehpausen einzulegen. So das Vorhaben und die Theorie. Zwischendurch kam mir Stephan entgegen, der in diesem Zustand kein Photo von Heidi bekommen hätte. Bei ihm schien es richtig beschis… zu laufen. Ein paar aufmunternde Worte, ein kurzes Abklatschen und dann war wieder jeder für sich alleine. Bei km 17 war dann mein guter Vorsatz gebrochen: die erste Gehpause an einer Verpflegungsstelle. Ab da nahm das Leiden seinen Lauf. Daran konnte leider auch ein letzter Motivationsschub von der Family bei km 20 nichts ändern. Hier befand ich mich bereits in einem emotionalen Ausnahmezustand und hatte Pippi in den Augen. Schon seltsam was außergewöhnliche Bedingungen und Anstrengungen mit einem machen. Plötzlich fühlt man sich ganz, ganz klein; auf seinen Kern – einen Fliegenschiss – reduziert. Der Rest der Laufstrecke ist schnell erzählt: die drückende Hitze wurde immer heftiger; auch machte der Magen langsam schlapp. Viel Trinken war angesagt, um nicht zu dehydrieren; andererseits konnte der Magen das ganze Zeugs nicht mehr richtig verarbeiten. Gehpausen wechselten sich mit Kilometerabschnitten mit einem 5:10er Schnitt ab, so dass ich mich bei ca. 5:30/km einpendelte. Zwischen Kilometer 26 und 29 gab’s dann noch einmal richtig eins auf die die 12; Kilometerabschnitte weit jenseits der 6 min/km. Aber km 29 war zugleich der letzte Wendepunkt, Licht am Ende des Tunnels. Ab jetzt ging es heim. Mensch, nur noch 13 km! Wie oft bin ich das in der Vorbereitung als kleine Feierabendrunde oder morgens als „Morning Run“ gelaufen! Aber irgendwie waren die 13 km hier länger. Ich versuchte, mich selber damit zu verarsch…, dass ich nur bis km 40 rechnete. Die letzten 2 km wären zum genießen und zählten deshalb nicht. Bei Kilometer 31 trafen Stephan und ich uns dann zum letzten Mal. Oder sollte ich besser sagen, wir liefen regungslos aneinander vorbei? Fakt war, dass niemand von uns beiden zu großen Regungen in der Lage war. Dieses Mal hätte Heidi auch für mich kein Photo gehabt. Ab km 35 ging meine Selbstverar… auf; keine Gehpausen mehr. Noch ein letzter Kilometer mit Ehrenrunde auf dem Rother Marktplatz – wo man sich die Frage stellt, wer diese Extrarunde noch braucht (zumal es hier noch einmal bergab und bergauf ging) – und dann war es geschafft! Den Tränen nah überquerte ich nach 10:13:03 die Ziellinie.

Die Erkenntnis

1. Das war eine harte Nummer! Ok, Langdistanz ist irgendwann immer spaßbefreit – irgendwie schien ich das verdrängt zu haben. Aber die 2. Marathonhälfte war dieses Mal extrem spaßfrei!
2. Die 9:44h, die ich 2009 hier erreicht hatte, war schon ein echtes Brett und ich bin in den letzten 5 Jahren dann doch nicht jünger geworden.
3. Zwar scheine ich mir nach meiner Platzierung Hoffnung auf eine Hawaii-Quali machen zu dürfen. Zu den Top 15 meiner Altersklasse fehlten mir 7 Minuten (s.u. „Die nackten Zahlen“), was am Sonntag zwar einer kleiner Ewigkeit entsprach aber auch nicht unmöglich ist. Allerdings ist mein Bedarf an der Langdistanz erst einmal wieder gedeckt. Ich denke nicht, dass ich in der AK 45 zum Großangriff für Hawaii blasen werde. Vielleicht mit dem Wechsel in die AK 50; vielleicht bleibe ich aber auch der Ballack unter den Triathleten und lasse das Werk „Hawaii“ unvollendet – let’s wait and see.

Die nackten Zahlen

Swim: 1:05:19 / Bike: 5:08:52 / Run: 3:51:55 / Gesamtplatzierung: 211. (ca. 3300 Starter; ca. 1100 Aufgaben) / Platzierung AK: 21. (ca. 660 Starter; ca. 150 Aufgaben)

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